Der Studiengang Verwaltungsinformatik (VIT) verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden aus verschiedenen Disziplinen (Informationstechnik (IT), Recht, Organisation, Kommunikation, Managementlehre etc.) miteinander. Der nachstehende kleine Überblick soll ohne Anspruch auf Vollständigkeit eine kurze Erklärung des Begriffes VIT vornehmen.
Die große Schwester: Die Wirtschaftsinformatik
Die Verwaltungsinformatik ist eine relativ junge Wissenschaft. Gleiches gilt eigentlich auch für die so genannte Wirtschaftsinformatik (WI). Im direkten Vergleich lässt sich aber sicher sagen, dass die WI etwas älter, etwas weiter entwickelt ist als die Verwaltungsinformatik. Beide Disziplinen haben grundlegende Ansätze gemeinsam, so dass hier zunächst einmal kurz die schon länger geläufige WI, quasi die große Schwester der Verwaltungsinformatik, betrachtet werden soll.
„Unter Wirtschaftsinformatik wird die Wissenschaft von Entwurf, Entwicklung und Nutzung rechnergestützte Informations-und Kommunikationssysteme in Wirtschaft und Verwaltung verstanden…. Die noch recht junge Disziplin versucht die sinnvolle Integration von Betriebswirtschaftslehre und Informatik.“ (Abts/Mülder, Grundkurs Wirtschaftsinformatik, 7, Aufl., Wiesbaden 2001, S. 2 unter Bezug auf weitere Quellen)“ „Als langfristiges Ziel der Wirtschaftsinformatik wird die sinnhafte Vollautomation angestrebt. Hier bedeutet sinnhaft, dass die Automation nach einer gewissen Lern-und Übergangsfrist von den meisten Menschen als vorteilhaft und sinnvoll angesehen wird. Im Mittelpunkt dieser Zielsetzung steht somit der Ersatz menschlicher Arbeit durch maschinelle Verarbeitung und zwar überall dort, wo Maschinen die Aufgaben besser (d.h. schneller, kostengünstiger, sicherer) als Menschen erledigen können.“ ( Abts/Mülder, Grundkurs Wirtschaftsinformatik, 7, Aufl., Wiesbaden 2001, S. 4 unter Bezug auf weitere Quellen)
Worum geht es also inhaltlich? Die Wirtschaftsinformatik will offensichtlich dort, wo es sinnvoll und möglich ist, die menschliche Arbeitskraft durch entsprechende Informatiksysteme ersetzen. Damit sind indirekt bereits Anforderungen an den Wirtschaftsinformatiker vorgegeben, die dieser zur Erfüllung seiner Aufgaben aufweisen muss: Er oder sie muss in der Lage sein, die technischen Möglichkeiten der derzeitigen IT einzuschätzen, Entwicklungen zu prognostizieren und Chancen und Risiken zu identifizieren. Die Absolventen müssen Automatisierungsentscheidungen treffen können, was voraussetzt, dass sie bestehende Arbeitsabläufe analysieren, optimieren und bewerten können. Damit ist die in der Definition angesprochene Schnittstelle zwischen BWL und IT o.w. nachvollziehbar.
Die Verwaltungsinformatik
Auch bei der Verwaltungsinformatik geht es faktisch darum, Entscheidungen über eine mögliche Automation zu treffen, auch hier geht es um den Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch IT- Systeme mit dem Ziel der Effizienzsteigerung. Betrachtet man z.B. die nachstehende Definition der VI, so werden neben diesen Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede deutlich:
"Verwaltunginformatik:„Wissenschaft der informationstechnik gestützten Gestaltung von Verwaltungshandeln. Die Verwaltungsinformatik befasst sich mit Lösungen zur Verwaltungsautomation. Zur Wahrnehmung ihrer Gestaltungsaufgaben verwendet die Verwaltungsinformatik Informatikkonzepte, Organisationsver- fahren sowie Verwaltungsprinzipien und –strukturen.“
(Quelle: Gablers Wirtschaftslexikon online; zitierfähige URL: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/76956/verwaltungsinformatik-v7.html)
Auch wenn die Zielrichtung weit gehend vergleichbar ist, so sind es die letztendlich verfolgten Endziele allerdings nicht. Denn das Kernziel der privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen, eine marktgerechte Verzinsung des eingesetzten Kapitals zu erreichen und das Überleben am Markt zu sichern, gibt es so für die öffentliche Verwaltung nicht[1]. Der Bestand der öffentlichen Verwaltung ist selbst dann nicht gefährdet, wenn die angebotenen Dienstleistungen als solches extrem teuer, unwirtschaftlich und ineffektiv sind. Der Kunde hat aufgrund der besonderen gesetzlichen Rahmenbedingungen – sieht man von wenigen hier nicht näher zu betrachtenden Ausnahmesituation, z.B. den Wechsel des Wohnortes, um Steuern zu sparen, ab - keine Wahl.
Dies wird in der o.a. Definition unter Bezug auf die Verwaltung deutlich gemacht. Denn die Verwaltung ist zwar im Kern ein (großes) Unternehmen und kann sicher in einigen Bereichen mit solchen der Privatwirtschaft verglichen werden. Und die neue serviceorientierte Verwaltung, die den Bürger als Kunden in den Mittelpunkt rückt, die ihre Verwaltungsleistungen an deren Bedürfnissen und Fähigkeiten anpasst und Kosten für Bürger, Wirtschaft und Staat zu senken sucht, ähnelt stark gewissen unternehmerischen Vorgehensweisen.
Aber dem Staat ist es z.B. nicht möglich, aus Gründen der Wirtschaftlichkeit auf das Anbieten bestimmter Dienstleistungen, auf den Betrieb bestimmter Einrichtungen und Funktionen, zu verzichten. Denn aufgrund des hoheitlichen Auftrags, der sich regelmäßig in Gesetzen niederschlägt, die für die Exekutive verbindlich sind, sind dem öffentlichen Auftraggeber die Hände gebunden. Selbst dann, wenn vergleichbar hohe Investitionen zu einem vergleichbar niedrigen Erfolg führen würden, kann die hoheitlich handelnde Verwaltung nicht aus Effizienzgesichtspunkten heraus eine Auftragsdurchführung ablehnen.
Und umgekehrt gilt: Die öffentliche Verwaltung muss trotz ineffizienten Verhaltens nicht befürchten, durch Konkurrenten vom Markt verdrängt zu werden. Sie ist verpflichtet, bestimmte Dienstleistungen vorrätig zu halten, auch wenn sie sich als nicht wirtschaftlich darstellen. Darüber hinaus hat sie im Bereich des rein hoheitlichen Handelns Aufgaben, die mit Marktmechanismen weder zu erklären noch zu handhaben sind.
Dementsprechend ist es nur logisch, neben bzw. unterhalb der WI eine eigene Disziplin-die Verwaltungsinformatik-zu etablieren. Diese stellt die Möglichkeiten der Automatisierung, die Möglichkeiten des IT Einsatzes in der Verwaltung vor dem Hintergrund der eben genannten Überlegungen dar.
[1] Ulschmid, S. 33, geht zwar auch davon aus, dass die Behörden nicht im Wettbewerb stehen, sieht aber dennoch für diese einen Zwang, produktiver, wirksamer und wirtschaftlicher sein zu müssen, um überleben zu können. Dieser Zwang werde aber von den beteiligten Personen nicht als bedrohlich empfunden und entfalte daher keine Wirkung.